Bedeutende Frauen Teil 4

Bedeutende Frauen Teil 4

Marie Gravenhorst war die in der letzten Woche gesuchte Dame, die die Lüneburger Salonkultur ins Leben rief und viele bedeutende Gäste mit ihrer gepflegten Gastfreundschaft zusammenbrachte. Die nach ihrem Mann, dem Rechtsanwalt Karl Gravenhorst benannte Straße grenzt im Norden an die Feldstraße, wo auch unsere erste vorgestellte historische Persönlichkeit Brigitte Hasenclever lebte.

Unsere heute gesuchte Persönlichkeit könnte durchaus und ist sicher auch Gast von Marie Gravenhorst gewesen. An dem netten Datum 18.11.1811 geboren, erhielt die Tochter des recht wohlhabenden und angesehenen zweiten Armenarztes von Lüneburg zwar eine gute Schulbildung, erlernte aber keinen Beruf. Es war damals unüblich für „Töchter aus gutem Hause“, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, denn sie wurden als „gute Partie“ verheiratet. Doch blieb unsere Lüneburgerin, genauso wie ihr Bruder, ihr Leben lang ledig. Da materielle Werte für sie nicht wichtig waren, lebte vermutlich ein bescheidenes Leben mit ihrer Kammerzofe in den Gesinderäumen und Hinterzimmern der Ratsapotheke. Ihr Bruder wurde wie der Vater auch Armenarzt und übernahm die Praxis seines Vaters in der Schröderstraße 3.

Durch das Engagement ihres Vaters war das Geschwisterpaar für die Not der ärmeren Bevölkerungsschicht seit früher Jugend sensibilisiert worden. Ihr jüngerer Bruder gehörte seit 1840 dem Vorstand der neu gegründeten Kinderpflegeanstalt an und wurde einige Jahre später Sanitätsrat der Stadt Lüneburg. Er hatte zudem die Idee, ein Kinderhospital zu gründen, um den Kindern zu helfen, die im Salzstock unter härtesten Bedingungen arbeiteten, dadurch krank wurden und häufig starben. Da er 1873 plötzlich an einer Lungenentzündung starb, konnte er dieses Vorhaben leider nicht mehr realisieren.

Unsere Lüneburgerin engagierte sich ihrerseits mit ihrem Verständnis für Gesundheit und ihrer Bildung im Kreis gleichgesinnter und gut situierter Frauen der Stadt. Sie entwickelten gemeinsam konkrete Ideen zur Bekämpfung von Not und vor allem von Krankheiten. So setzte sie auch 1874 das Vermächtnis ihres Bruders für den Aufbau eines Kinderhospitals in die Tat um. Dazu berief sie am 23. September 1874 im Saale der Herberge zur Heimat in der Wallstraße eine Zusammenkunft von 19 Lüneburgern zur Gründung eines Kinderhospitals „auf Anregung ihres Bruders Franz“. Dem sich daraufhin bildenden Gründungskomitee und dem Verwaltungsrat überließ sie das ansehnliche Kapital von 6000 Reichstalern.

Erst wurden zunächst einige ungenutzte Räume im Graalhospital mit 5 Betten zur Verfügung gestellt, dann konnte in der heutigen Barckhausenstraße ein eigenes Gebäude erstellt werden, das im Juli 1876 mit 20 Betten in Betrieb genommen wurde. Es besteht noch heute und beherbergt seitdem die nach unserer gesuchten Lüneburgerin benannte Stiftung. 1972 zog das Kinderhospital in die Kinderklinik am Städtischen Klinikum und aus dem Hospital wurde ein Kinderheim. Seit 1988 ist die Stiftung als Einrichtung für erwachsene geistig und mehrfach behinderte Menschen anerkannt, in der bis zu 44 Personen wohnen und betreut werden können.

Die Statuten und der Verwaltungsaufbau des Kinderhospitals waren ungewöhnlich modern. Es handelte sich um einen Verein, der die kranken Kinder je nach Bedürftigkeit sogar kostenlos behandelte und verpflegte. Dabei wurden keinerlei Einschränkungen hinsichtlich ihrer Herkunft oder Konfession gemacht. Finanziert wurde dies durch Spenden und Jahresbeiträge. Die Ämter der Verwaltungsmitglieder waren allesamt ehrenamtlich und sowohl von Frauen als auch Männern besetzt. Die Entscheidungsbefugnisse lagen  ebenfalls bei beiden Geschlechtern und die eigentliche Initiative, Förderung und Finanzierung lag fast ausschließlich in Frauenhand.

So ermöglichten es mehrere angesehene Lüneburgerinnen unter der Initiative und mit der Energie unserer gesuchten Lüneburgerin, Frauen in einer karitativen Institution Einfluss und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zu verschaffen, weit vor der Zeit bevor Frauen studieren durften oder ein Wahlrecht hatten.

1894 verstarb unsere Lüneburgerin im Alter von 82 Jahren. Ihr beachtliches Vermögen vermachte sie der Stadt Lüneburg für wohltätige Zwecke. Bis heute ist ihr damaliger Einsatz für die Schwachen und Benachteiligten der Gesellschaft in der bereits erwähnten Stiftung, deren Namen Sie in der nächsten Woche erfahren werden, (sollten Sie unsere Lüneburgerin nicht erkannt haben) zu spüren.

Dieses Portrait ist erstellt worden mit Hilfe der Diplomarbeit von Constanze Sörensen: Biographien Lüneburger Frauen. Soziale Bedeutung von Frauen. Lüneburg, 2005

 

 

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